Arbeit und Identität – Die Idee der Selbstverwirklichung durch Arbeit gestern, heute und morgen
Prof. Dr. Ralph Sichler, Dipl.-Psych. (BSU)
Die Idee, dass der Mensch, wenn er arbeitet, sich selbst verwirklichen kann, hat ihre Wurzeln in der Sozialphilosophie des 19. Jahrhunderts und in der Arbeitspsychologie des 20. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Identität im Kontext von Arbeit. Was mich als arbeitende Person ausmacht, ist entsprechend dem Narrativ der Selbstverwirklichung grundlegend mit der Möglichkeit verbunden, inwieweit meine Arbeit es zulässt, eigene Wünsche erfüllen und meine Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können. Für das 21. Jahrhundert ist diese Vorstellung für die Arbeitsidentität nach wie vor relevant.
Gleichzeitig kann man beobachten, dass der Diskurs der Selbstverwirklichung durch weitere Facetten bestimmt wird und sich auch verändert. So erfährt beispielsweise die Vorstellung, dass Arbeit, die Selbstverwirklichung ermöglicht, auch mit einem hohen Grad an Selbstbestimmung (oder Autonomie) verrichtet werden kann, eine grundlegende Akzentverschiebung. Diese Facette der Arbeitsidentität des 21. Jahrhunderts weist eine beträchtliche Ambivalenz auf. Selbstbestimmung im Kontext von Arbeit kann auch unternehmerisch verstanden werden. Dies hat dann zur Folge, dass die Arbeit zunehmend prekäre Züge annimmt und für Beschäftigte traditionelle Arbeitswerte wie beispielsweise Sicherheit oder Teamgeist wieder an Bedeutung gewinnen.
Im Beitrag werden zunächst zentrale Aspekte der historischen Quellen zur Relation von Arbeit und Identität thematisiert, daran anschließend wird diskutiert, welche Facetten die Identitätsbildung in ihrem Bezug zur Arbeit im Kontext gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen gegenwärtig und in naher Zukunft aufweist.